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Von einem Mitglied des Bürgerforums Magstadt e.V.

Leseprobe aus dem Buch "Stehzeuge - Der Stau ist kein Verkehrsproblem", erschienen im Verlag Böhlau Wien, von Hermann Knoflacher. Auszug mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags.

Bürger in der Geiselhaft der Baulobby:
Wenn die Not groß genug ist, stimmt die Bevölkerung sogar unsinnigen Straßenbauprojekten zu

Häufig setzt sich ein großer Teil der Bewohner einer Gemeinde für eine so genannte Umfahrungsstraße ein, obwohl leicht nachgewiesen werden kann, dass durch eine solche Lösung in der Regel nur eine kurzfristige Verlagerung der Verkehrsströme auftreten wird und mittel- sowie längerfristig sogar massive Zunahmen der Autoverkehrsbelastungen im Lebensraum dieser Menschen eintreten werden. Lokalpolitiker und insbesondere die Bauwirtschaft nützen diese Stimmung der Bevölkerung in Hunderten von Orten dazu aus, um rücksichtslos Projekte durchzuboxen, die sich in der Folge nicht nur für das Öko-System, sondern auch für die Verkehrssicherheit, die lokale Wirtschaft und alle anderen Verkehrsteilnehmer nachteilig auswirken. Um die Bevölkerung zu diesem kopflosen Verhalten zu verleiten, wird einerseits gezielt Angst, Selbstmitleid und Hysterie erzeugt und andererseits das geplante Vorhaben als Ideallösung dargestellt.

Für die Bearbeitung eines Gutachtens
15, das die Frage der Westanbindung im Zusammenhang mit dem Ausbau der Autobahn von Hamburg nach Lüneburg zum Inhalt hatte, wurde nicht nur das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung in den umliegenden westlichen und nördlichen Gemeinden Lüneburgs erhoben, sondern auch deren Einstellung bzw. Erwartungshaltung zum Bau einer solchen Fahrbahn. Dabei zeigte sich, dass ein Großteil der Bevölkerung in den westlichen Gemeinden den Bau einer solchen Straße ablehnte, während in zwei Gemeinden die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung den Bau einer solchen Straße für wichtig bzw. sehr wichtig einstufte und sich auch starke Entlastungswirkungen und Verbesserungen der Lärm- und Abgasbelastung erwartete. Nun waren gerade diese Gemeinden vom Bau einer solchen Westanbindung verkehrsmäßig überhaupt nicht positiv betroffen, sondern werden durch die geplante Straße sogar mehr Belastung erhalten. In den restlichen Gemeinden gibt es welche, die durch den Bau einer Westanbindung neue und leichtere Zugangsmöglichkeiten sowohl nach Lüneburg als auch Hamburg erhalten werden. Die Befragung brachte ein scheinbar paradoxes Ergebnis. Jene Gemeinden, die durch den Bau möglicherweise keine Nachteile erfahren würden, lehnen eine Westanbindung am stärksten ab, nämlich zu über 80%. In jenen Gemeinden, deren Bevölkerung mit Sicherheit Nachteile bei der Westanbindung haben wird, weil dadurch auch der Durchzugsverkehr zunehmen wird, war die Zustimmung am höchsten.

Das Ergebnis zeigt, dass anscheinend zwischen der realen Wirkung eines solchen Straßenprojektes und der Erwartungshaltung der Bevölkerung nicht nur keine Übereinstimmung, sondern offensichtlich ein eklatanter Widerspruch besteht.

Dieser Widerspruch löst sich allerdings sehr schnell auf, wenn man das Ausmaß der Zustimmung entweder über der absoluten Verkehrsbelastung der Straßen durch das Ortsgebiet der Gemeinden oder über dem Anteil des Durchzugsverkehrs am Gesamtverkehr aufträgt. Dabei zeigt sich, dass mit zunehmender Verkehrsbelastung und insbesondere mit zunehmendem Anteil des Durchzugsverkehrs durch die Gemeinde die Bereitschaft, irgendwelchen Straßenbaumaßnahmen - gleichgültig welcher Art - zuzustimmen, linear ansteigt. Die "Kopflosigkeit" der Bevölkerung steigt proportional mit zunehmender Verkehrsbelastung. Man braucht daher nur genügend Autoverkehr durch eine Ortschaft zu leiten und fordert damit die Zustimmung der Bevölkerung zu jedem - sogar dem schädlichsten - Projekt. Die Baulobby setzt dazu gezielt die Medien ein, um katastrophale Zustände noch weiter zu dramatisieren. Sogar wenn dies nicht der Fall ist, wird ein Abschnitt zur "Todesstrecke" hochstilisiert, und schon hat man das erreicht, was man will, nämlich den Fluss öffentlicher Mittel für eine weitere Zerstörung der Natur und der menschlichen Lebensräume. Nach diesem Strickmuster wird derzeit weltweit agiert und es funktioniert meist mit großer Verlässlichkeit. Die Erwartungshaltung, die das jeweilige Projekt erzeugt, muss überhaupt nichts mit der Realität zu tun haben. Die Absurdität der Lösungen und die Wahrscheinlichkeit der Vergeudung öffentlicher Mittel für unsinnige Ausbauprojekte im Straßennetz steigt daher proportional mit der Menge des Autoverkehrs. Die Zustimmung wird durch den realen oder durch die Medien bewusst erzeugten Leidensdruck erzwungen - auch zum eigenen Schaden.

Wer hat Recht?

Die "Salzburger Nachrichten" meldeten im Oktober 1994 unterschiedliche Zukunftsaspekte für den Verkehr in Europa. Einerseits wurde eine rosige elektronische Zukunft mit dem Slogan "Straßenverkehr in Europa - bald elektronisch gesteuert" in Aussicht gestellt. "Der europäische Straßenverkehr soll in wenigen Jahren mit Hilfe von Computer- und Satellitenunterstützung besser fließen. Die im europäischen Forschungsverbund PROMETHEUS zusammengeschlossenen13 Fahrzeugfirmen stellten am Dienstag in Paris Technologien vor, die bis zum Jahr 2000 mit einem Gesamtaufwand von 360 Millionen ECU entwickelt werden. "Die andere Meldung in den "Salzburger Nachrichten" vom 31. Oktober 1994 lautete "Auto - Kultur führt unweigerlich in eine Katastrophe" und bezog sich auf einen Bericht der Kommission über Umweltverschmutzung in Großbritannien. Interessant ist eine Formulierung in diesem Beitrag, die sich auf den 35 Jahre alten Buchanan-Bericht bezieht. 1964 veröffentlichte Prof. C. Buchanan seinen Bericht,16 in dem unter anderem zu lesen ist: " Wir nähren unter immensen Kosten ein Monster von potenziell großer Zerstörungskraft - und lieben es doch innigst." Mit dem Monster war das Automobil gemeint. Die Therapie, die Buchanan damals empfahl, war allerdings fatal. Er schlug die Schaffung von umweltfreundlichen Stadtgebieten vor, aus denen der Autoverkehr in der Form verbannt wird, dass der Straßenverkehr auf Parterre-Ebene und Geschäfte und Fußgängerzonen auf dem nächsthöheren Niveau eingerichtet werden sollten. Buchanan empfahl auch eine so genannte "Stau-Abgabe" für Autobesitzer. Seit damals ist die Zahl der Autos in Großbritannien um das Dreifache gestiegen. Die Liebe zum Monster scheint größer zu sein als die Furcht davor.

Wir werden uns im Folgenden mit der Frage, warum es zu dieser Schizophrenie und zu dieser scheinbaren Hilflosigkeit kommt, intensiv beschäftigen. Dass das Verständnis für das Problem nicht zugenommen hat, zeigen auch jüngere Publikationen. Maxwell G. Lay17 kommt dem Problem überhaupt nicht näher, was auch berufsbedingt sein dürfte, denn Lay ist australischer Straßenbauingenieur. Ähnlich wie E. F. Schumacher erkennt Jürgen Brun im "Öko-Report 2000", dass die Lehre vom ständig unbegrenzten Wirtschaftswachstum die totalitärste Ideologie überhaupt ist - vergleichbar einem permanenten Krieg gegen die Natur. Seine Wege aus der Umweltkatastrophe setzen aber auf einer Ebene an, die nicht zielführend sein kann. Sein rationaler Ansatz der "großen Verweigerung" ist für eine lebenswerte Zukunft wohl unumgänglich, aber leider in dieser Form nicht realisierbar. Die mechanischen Verkehrssysteme bzw. ihre Wirkung auf den Menschen machen ihm einen Strich durch die Rechnung.

Es ist wirklich zum Verzweifeln mit dem Verkehrsproblem. Wien erlebte den Mega-Stau am 31. Oktober 1994. Eine Tageszeitung meldete, dass 100.000 Autofahrer im Verkehrsstau festgesessen seien, weil die Zufahrt zu den stadtnahen Shopping-Centers überlastet waren. Als Therapie wurden von einschlägigen Organisationen wie den Automobil-Clubs vorgeschlagen, zu den sechs Fahrspuren noch weitere zwei dazuzubauen. Man kann sich mit wenig Fantasie ausrechnen, dass dann statt 100.000 Autos 120.000 festsitzen werden.

12.06.2007

ISBN 3-205-98988-0
http://www.boehlau.at