660 Einwendungen gegen den geplanten Bau der S-Bahn 60 in Maichingen
Anhörung im Bürgerhaus Maichingen am 7. Dezember 2005
Die Anhörung der betroffenen Einwohner dauerte von 9 bis 15,45 Uhr. Erschienen waren rund 80 Bürger. Auf der Gegenseite saßen ca. 35 Fachleute der Deutschen Bahn AG, des Regionalverbandes Stuttgart, des Regierungspräsidiums, der Stadt Sindelfingen und einiger Fachbehörden.
Die Tagesordnung umfasste die Punkte:
- Verfahrensrechtliche Fragen
- Erläuterung des Vorhabens
- Planrechtfertigung
- Alternativen
- Immissionsschutz
- Eigentum, Beweissicherung
- Kommunale Belange
- Verkehr
- Wasser
- Natur und Landschaft, Erholung, Bodenschutz, Landwirtschaft
- Belange von Leitungsträgern
- Sonstiges
Hier einige Höhepunkte:
Bei mehr als 50 Einwendungen gegen ein Projekt, erfolgt nur eine Information als Antwort auf die Einwendungen im Staatsanzeiger oder über die Anhörung. Da den Staatsanzeiger in der Regel kein Bürger abonniert oder regelmäßigen Zugang zu dieser Publikation hat, werden Informationen über die kommunalen Mitteilungsblätter und die örtlichen Zeitung geliefert. Die betroffenen Bürger sind hier klar benachteiligt. Während staatliche Stellen (hier mit ca. 35 Fachbeamten mit entsprechender Hintergrundadministration) über jegliche denkbaren Ressourcen verfügen, mussten Bürger und zwei Rechtsanwälte (keine Fachanwälte) versuchen, ihre Interessen und der Vertretenen zu wahren. Ein ungleicher Part.
Betroffen sind hauptsächlich Bürger aus dem Wohngebiet Grünäcker und Teilen der Landhaussiedlung. Bürger äußerten ihren Unmut darüber, dass während der Vorbeifahrt von Güterzügen jegliche Unterhaltung in Räumen wie auch im Garten wegen der Lärmentwicklung eingestellt werden muss. Momentan verkehren wohl nach Auskunft der Bahn 34 Güterzüge innerhalb von 24 Stunden täglich. Diese Zahl muss allerdings angezweifelt werden. Allein in der Anhörung wurden 40 und 50 Züge täglich genannt. In Magstadt haben Bürger schon im selben Zeitraum über 70 Züge gezählt (Die meisten Güterzüge fahren nachts). Künftig werden durch den Personennahverkehr noch 80 Züge dazu kommen.
Nach Messungen eines von der Bahn beauftragten Ingenieurbüros soll sich aber die Lärmsituation für die betroffenen Bürger kaum ändern. Auffallenderweise wurden nur Erhöhungswerte von 0,1 db nachts und 0,5 db tagsüber genannt. Interessant wären aber nicht nur diese Werte, sondern auch die Spitzenwerte mit Überschreitungen und Häufigkeit innerhalb einer Stunde und der Durchschnittswert (Gesamtwert nicht nur Erhöhungswert) gewesen.
Gestritten wurde auch zwischen dem Durchführungsträger und der Stadt Sindelfingen darüber, wer die Kosten für die Lärmschutzmassnahmen zu übernehmen hat. Anscheinend gibt es laut dem Bebauungsplan für das Wohngebiet Grünäcker Abweichungen zwischen Plan und Realität in der Bebauung. Die Verkehrsträger halten sich nun bei den Messungen an den Bebauungsplan, obwohl die Erweiterung der Strecke gesetzlich als Neubau gilt und der Verkehrsträger sich aus diesem Grund an das, was er an Bebauung vorfindet, seine Schallschutzmaßnahmen auszurichten hat.
Hinzu kommt, dass zwischen Bebauung und der heutigen Erweiterung die rechtlichen Voraussetzungen geändert wurden. Den Fachleuten dürfte entgangen sein, das am 3. August 2001 verschiedene Gesetze zur Umsetzung der EG-Richtlinien zum Umweltrecht mit weitreichenden Änderungen der Anforderungen an die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) in Kraft sind. Den Fachbeamten kann das Studium des BauGB mit Kommentaren und Gerichtsurteilen von Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis, Dr. Michael Krautzberger und Dr. Rolf-Peter Löhr erschienen in der 8. Auflage im Verlag Beck, Umfang 1841 Seiten, nur dringend empfohlen werden.
Wie üblich, wurden die Schallpegel nicht Vorort gemessen, sondern errechnet. Begründet wird dies allgemein mit Kosten- und Zeitersparnis. Die Wirklichkeit sieht leider in der Regel anders aus (siehe auch Schallmessungen auf unserer Web-Seite unter Fakten + Zahlen). Reflexionen, schlechte Wartung des rollenden Materials und der Gleisanlagen der Bahn, Windrichtung und Ausdehnung der Schallwellen nach oben (bei hohen Gebäuden wichtig) lassen sich nicht annährend genau berechnen. So wurde auch keine Aussage hierüber getroffen, wie oft die Bürger innerhalb einer Stunde nachts aus dem Schlaf gerissen werden. Diese Zahl ist aber für eine Schallberechnung mit maßgebend. Auch zu Berechnungsdaten (beispielsweise Geschwindigkeit der Züge) wurde keine Aussage gemacht. Den Aussagen fehlte die notwendige Transparenz für eine Beurteilung durch einen Außenstehenden. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Auch die Information, mehr zur Beruhigung der Anwohner gedacht, über ein künftiges Volumen von 50 Güterzügen täglich greift zu kurz. Dem Netzbetreiber kann später nicht vorgeschrieben werden, mit welcher Frequenz er sein Schienennetz zu nutzen hat. Wenn Gotthard-Tunnel und die Rheinstrecke gebaut/ausgebaut sind, dass geplante Güterverkehrszentrum in 3 Ausbaustufen in Kornwestheim verwirklicht ist, könnte die Nutzungsfrequenz schnell auf 200 Güterzüge täglich ansteigen, wenn es die Bahn für notwendig hält. Der Bahn kann das nicht untersagt werden. Heutige Aussagen von irgendwelchen Fachbeamten entfalten keine Rechtswirkung. Ein umfassender Lärmschutz muss deshalb jetzt in der Planfeststellung verbindlich festgelegt werden. Danach sind die Chancen für die Anwohner auf einen effektiven Lärmschutz gleich Null.
Erörtert wurden noch Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen des Naturschutzes durch die Pflanzung einer größeren Anzahl von Bäumen als Baumreihe, durch welche Privatflächen beeinträchtigt werden. Auch kann eine ältere Bürgerin künftig einen Weg im Winter von Schnee befreien, weil der bisherige Zugang vor ihrem Haus (Sackgasse) als Durchgang für Fußgänger zur S-Bahnstation ausgebaut wird.
Zum Schluss meinte ein Bürger, dass mit schnellen Busverbindungen zwischen Böblingen und Renningen die gleiche Wirkung billiger und vor allem umweltschonender erreicht werden könne. Allein die Zinserträge aus den geplanten Baukosten über Mio. € 93 dürften schon für diesen Busverkehr ausreichen.
Konsequenz: Der Bürger zahlt immer mehr Abgaben und darf dafür auch noch leiden. Wenn ein öffentliches Interesse an dieser S-Bahn besteht, dann sollen die Lasten auch gleichmäßig auf das „öffentliche Interesse“ verteilt werden.