Stuttgart 21 und Bahnlärm in Leonberg
Verfasser: Ewald Thoma
08.06.2004

Spinnen die BiGG’ler nun vollends, wird sich bei dieser Überschrift mancher Leser fragen. Was hat Stuttgart 21 mit dem Leonberger Bahnverkehr zu tun ? Auf den ersten Blick natürlich nichts. Aber auf den zweiten Blick vielleicht doch - und das kommt so:

Die Geschichte beginnt sehr weit in der Vergangenheit, Anfang der 80-er Jahre. Bis dahin war die Bahnwelt in Leonberg noch in Ordnung.

Zwischen Kornwestheim und Sindelfingen fuhren die sogenannten Daimlerzüge. Nachts war Ruhe.

Dann wurde im Zuge der Einrichtung der S-Bahn der Stuttgarter S-Bahn-Tunnel gebaut. Während der Bauzeit war die Gäubahnstrecke zwischen dem Hauptbahnhof und Vaihingen teilweise nur eingleisig befahrbar, daher kam die Bahn auf die Idee, den Güterzugverkehr über Leonberg und Renningen nach Böblingen umzuleiten. Den Bahnanliegern wurde dies damit schmackhaft gemacht, dass dies nur temporär während der Bauzeit so sein sollte und danach der Güterzugverkehr wieder zurückverlegt würde. Wie so oft kam es anders. Die Bahn dachte nicht mehr daran, den Güterzugverkehr zurückzuverlegen und erfand dafür auch Gründe. Die Gäubahn sei zu steil oder der Pragtunnel habe zu wenig Kapazität zum Beispiel. Und so kam es, dass nun nicht nur die Daimler-Züge, sondern auch die Fernzüge in Richtung Schweiz den Weg über Leonberg ständig benutzten, vor allem auch nachts. Die Stuttgarter am Killesberg hatten den nächtlichen Lärm los und die Anlieger zwischen Korntal und Böblingen hatten ihn dafür.

Wie jeder weiß, wollen nun die Stuttgarter ihren Bahnverkehr neu ordnen – Stuttgart 21 wird das Ganze genannt. Es soll ein schöner neuer Bahnhof her und ein schöner großer Tunnel zum Flughafen gebaut werden. In diesen Tunnel sollen nun auch die noch auf der Gäubahnstrecke verkehrenden Personenzüge in Richtung Singen verlegt werden. Für die Bahn AG und die Stadt Stuttgart ist dies nun eine tolle Sache. Wie im Internet nachzulesen ist, hat die Bahn AG bereits das Trassengelände an die Stadt verkauft, für sehr viel Geld. Das Gesamtpaket, bestehend aus 80 ha am Hauptbahnhof und 40 ha Gäubahntrasse bringt die stolze Summe von 424 Mio. €, d.h. die Gäubahntrasse alleine ca. 1/3, also ca. 140 Mio. €. Die Stadt wird dann die entstehenden Grundstücke als Bauland ausweisen und die Filetgrundstücke - zum Großteil in begehrter Stuttgarter Halbhöhenlage - mit Gewinn weiterverkaufen, macht also auch noch einen schönen Gewinn.

Da passte es der Bahn AG ganz hervorragend ins Konzept, dass der Landkreis Böblingen schon seit langem gerne die beiden großen städtischen Zentren Leonberg und Böblingen/Sindelfingen mit einer S-Bahn verbinden wollte. Die S 60 war geboren. Eine tolle Sache für die Bürger, keine Frage. Aber auch eine tolle Sache für die langfristig denkende Bahn AG. Denn im Rückenwind des sehr positiv besetzten Themas ’S-Bahn’ bietet sich ihr nun die Möglichkeit, das bisher eingleisige Nadelöhr zwischen Renningen und Böblingen ohne Widerstände der Bevölkerung zu beseitigen.

Eine schöne 2-gleisige Strecke soll nun entstehen –selbstverständlich nur um einen guten S-Bahn-Service zu ermöglichen, aber selbstverständlich sollen darauf nun auch die Güterzüge rattern – und zwar dauerhaft. Die Gäubahnstrecke ist ja verscherbelt und vielleicht kann man die freien Kapazitäten auch noch ganz gut gebrauchen, dann nämlich, wenn der Gotthard-Basis-Tunnel fertig ist. Vor diesem Hintergrund sind die ca. 50 Mio. € Baukostenanteil des Bundes (gleichzeitig Eigner der Bahn AG) überhaupt kein Problem, schließlich bleibt durch den Grundstücksverkauf immer noch ein schöner Betrag übrig (s.o.). Die Investitionskosten für den Streckenausbau betragen insgesamt ca. 82 Mio. €.

Einzig der Landkreis und seine Bürger haben ein Problem. Der Landkreis muss trotz klammer Kasse natürlich auch sein Scherflein beisteuern (15% der Investitionskosten, und –was ihn noch viel mehr drückt, 50 % des Betriebsdefizits der S-Bahn – voraussichtlich knapp 2 Mio. € jährlich). Über die Kreisumlage ist natürlich auch die Stadt Leonberg finanziell dabei. Wir Bahnanlieger wiederum müssen nun für immer den Lärm ertragen, ganz besonders diejenigen, die das Pech haben, an dem Streckenteil zu liegen, der baulich nicht verändert wird. Denn dort braucht die Bahn nicht einmal Lärmschutz anzubringen – im Gegensatz zu den Anliegern zwischen Renningen und Böblingen. Dort müssen die strengen Lärmschutzrichtlinien für Neubaustecken eingehalten werden. Immerhin 15 Mio. € sind dafür vorgesehen. Davon können wir in Leonberg nur träumen. Für uns ist kein einziger müder Euro übrig.

Seit einigen Tagen wissen wir nun auch, dass wir Bahnanlieger auch noch die Gelegenheit erhalten sollen, schon mal ein gewisses ‚Bahn-Hauptstrecken-Feeling’ genießen zu dürfen. In einer Vorlage zu Regionalversammlung wird schon einmal angekündigt, dass während einer mindestens viermonatigen Bauphase innerhalb von Stuttgart 21 der gesamte Personenfernverkehr aus Richtung Zürich – Singen über Leonberg umgeleitet werden soll. Ein Schelm, der Böses dabei denkt ....

Als ’Gegenleistung’ bekommen wir immerhin eine neue S-Bahn, das muss man natürlich anerkennen. Aber: wäre die S-Bahn vielleicht nicht auch ohne den zweigleisigen Ausbau möglich? Wie z.B. in der Karlsruher Region, wo es von eingleisigen Strecken nur so wimmelt und trotzdem der S-Bahn-Service so gut ist, dass die Autofahrer massenhaft auf die Bahn umsteigen? Klar, Güterzüge fahren auf diesen Strecken nicht – aber diese müssten doch eigentlich auch bei uns nicht fahren. Die Gäubahn hat doch jede Menge freie Kapazitäten, vor allem wenn die Personenzüge nicht mehr fahren. Und die Killesberger wären doch eigentlich nun mal wieder dran, nachdem wir nun 20 Jahre lang den Lärm ertragen haben – irgendwie wäre dies doch auch mehr als gerecht. Oder zumindest könnten die Stuttgarter und die Bahn AG ein bisschen von ihrem Millionen-Gewinn für Lärmschutzmaßnahmen an unserer Bahnstrecke locker machen.

Damit diese Geschichte nicht ganz so einseitig verläuft wie sich’s manche in der Landeshauptstadt ausgedacht haben, haben wir auch bereits etwas getan. Wir haben mit unseren Regionsvertretern gesprochen, mit unserem Landrat Maier und unserem Regionalrat Noe und wir sind auf offene Ohren gestoßen. Wir, das heißt unser Mitglied und Kreisrat Kurt Vestner, ich selbst sowie Gerhard Schneider vom Bürgerverein Silberberg. Beratend zur Seite stand uns Stadtrat und Verkehrsplaner Prof. Dr. Dieter Maurmaier. Auch Staatssekretär Rückert war behilflich. Wir haben einen Fragenkatalog entworfen, der in die Gremien der Regionalversammlung eingebracht wurde.

Vielleicht hat’s auch schon ein bisschen gewirkt. Einer Beratungsunterlage des Planungsausschusses der Region Stuttgart ist jedenfalls zu entnehmen, dass die Region die Gäubahntrasse in Stuttgart keineswegs aufgeben will – ganz im Gegenteil – sie soll ausdrücklich funktionsfähig gehalten werden. Aber rechtlich entscheidend wird sein, was bei der Planfeststellung raus kommt. Da wird die Bahn AG und die Stadt Stuttgart mit Sicherheit Druck machen.